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Von vielen Leuten wahrscheinlich unbemerkt und auch nicht allzu groß publik gemacht, besuchte eines der Welt größten Genies im Juni dieses Jahres Österreichs Hauptstadt, um einen Vortrag über seine "Theory of Everything" zu halten - eine allumfassende Theorie, die das Universum in seiner Gesamtheit erklären soll. Laut Angaben der Veranstalter, des Institutes für Wissenschaft und Politik, der Bank Austria und der Politischen Akademie, hätte man mit interessiertem Publikum letztendlich ganz leicht die Stadthalle füllen können [Anmerkung der Red.: ca. 8.000 Plätze], so aber wurde der Vortrag ohne große Werbung im "Haus der Industrie" für ein paar hundert Zuhörer abgehalten. Eintrittskarten konnte man allerdings nicht kaufen - entweder man war geladener Gast, bekam noch eine freie Karte beim Veranstalter oder gewann eine bei einer Verlosung der "PRESSE" - so wie wir!
All jene, die zwar gekommen waren, aber keine Karte mehr bekommen hatten, konnten zumindest in einem Nebensaal über eine Live-Projektion dabei sein oder saßen im Foyer und im Stiegenhaus vor Monitoren, auf denen Stephen Hawkings Vortrag ebenfalls ausgestrahlt wurde. Zahlreiche Pressefotografen drängten sich vor der Bühne und mit etwas Glück und ohne aufzufallen konnte man auch selbst ein Foto schießen.
Stephen Hawking mit Begleiter auf der Bühne
An dieser Stelle gleich eines vorweg - es wird hier keinen Bericht über den Inhalt der "Theory of Everything" geben. Zu dem Thema gibt es genügend Fachartikel und Bücher, die die Materie alle wesentlich besser vermitteln können als ich mir überhaupt anmaßen würde, zu versuchen. Vielmehr findet die werte Leserschaft im Anschluß Auszüge eines Interviews, das von der "PRESSE" mit dem Wissenschafter geführt wurde und das am 23. Juni 1998 in der Zeitung erschien.
Tatsächlich war es so, daß wir in erster Linie zu dem Vortrag gingen, um diesen faszinierenden Menschen, dem man vor über 30 Jahren ob seiner schweren Krankheit schon totgesagt hatte, persönlich zu sehen und zu erleben - und es war beeindruckend!
Man würde hinter diesem Mann, der bewegungsunfähig in seinem Rollstuhl sitzt und liegt, nicht das Genie vermuten, und auch nicht, daß er trotz allem weltweit auf Reisen geht und seine wissenschaftlichen Arbeiten der Öffentlichkeit präsentiert. Er wurde auf den Tag genau 300 Jahre nach dem Tode Galileo Galileis (8. Jänner 1942) geboren und hat in Cambridge einen Lehrstuhl inne, den lange vor ihm schon Isaac Newton geleitet hat. Viele bezeichnen ihn als "zweiten Einstein", der die Sicht des Universums revolutioniert hat.
Der eigentliche Vortrag begann nach mehrminütigem Blitzlichtgewitter der sich drängenden Pressefotografen sowie zahlreichen Laudationen diverser wissenschaftlicher Funktionäre und dauerte über eine Stunde, begleitet von Lichtbildern. Danach hatte das Publikum Gelegenheit, Fragen an Stephen Hawking zu richten. In einer kurzen Pause dazwischen wurde die Funktionsweise seines Sprachsynthesizers erklärt, mittels dem er sich seit einer Luftröhrenoperation im Jahr 1986 verständlich machen muß.
In gewisser Weise ist es beklemmend, diesen zerbrechlichen, unbeweglichen Körper, in einem Rollstuhl hängend, den hunderten Zuhörern und Schaulustigen ausgeliefert zu sehen, doch wenn man diesen Mann, trotz Gesichtslähmung, lächeln sieht und reden hört, erkennt man, daß ein souveräner "Geist" alles andere wettmachen kann.
"PRESSE": Sie haben Ihr berühmtes Buch "Eine kurze Geschichte der Zeit" mit einem optimistischen Satz beschlossen: Die Menschheit könnte Gottes Plan verstehen. Können wir sicher sein, daß Gottes Plan in der Sprache menschlicher Mathematik verfaßt ist? Ist Mathematik mehr als eine menschliche Art zu denken?
Hawking: Es ist nicht selbstverständlich, daß das Universum mathematischen Gesetzen gehorcht, aber die erstaunliche Tatsache ist, daß es das offenbar tut. Das hat man zuerst in der Bewegung der Himmelskörper bemerkt, aber heute haben wir diese Gesetze so weit ausgedehnt, daß sie fast jedes Phänomen im Universum abdecken. So scheint es vernünftig, daß alles mathematisch beschrieben werden kann, und wir werden bald einen kompletten Satz von mathematischen Gesetzen finden. Wenn wir das schaffen, dann können wir tatsächlich behaupten, daß wir einen Einblick in den Geist Gottes haben.
"PRESSE": Sie haben festgestellt, daß unser Universum keine Grenzen hat, keinen Anfang und Ende, daß es einfach IST. Steht diese Eigenschaft des reinen SEINS nicht im Widerspruch zur Annahme, daß es andere Universen gibt?
Hawking: Man kann eine Theorie vertreten, in der es eine Anzahl von komplett getrennten Universen gibt. Aber jede Beobachtung kann nur ein Universum betreffen. So führt das nicht zu Widersprüchen.
"PRESSE": Wie stehen Sie zur neu entfachten Diskussion über die kosmologische Konstante und das Schicksal des Universums?
Hawking: Eine der wichtigsten Fragen der Kosmologie ist es, ob das
Universum genug Energie enthält, um den Raum in eine geschlossene Fläche
zu krümmen, vergleichbar mit der Oberfläche der Erde. Wenn es nicht
genug Energie gibt, dann wird das Universum unendlich in seiner räumlichen
Ausdehnung sein. Wir wissen, daß die Materie, die wir sehen, weniger als
zehn Prozent von der Materie ausmacht, die nötig ist, um das Universum zu
schließen. Aber es könnte andere Formen von Energie geben, die wir
nicht direkt beobachten können. Eine Möglichkeit ist, daß
Neutrinos eine kleine Masse haben, wie jüngst japanische Beobachtungen
nahelegten.
Aber auch wenn Neutrinos eine Masse haben, reicht das vermutlich
nicht für mehr als 40 Prozent der notwendigen Energie. Eine viel
aufregendere Möglichkeit, die jüngste Beobachtungen an Supernovas
nahelegten, ist, daß auch der leere Raum etwas haben könnte, was wir
Vakuumenergie nennen. Diese kann genauso wie gewöhnliche Materie-Energie
das Universum schließen. Aber anders als Materie-Energie verlangsamt die
Vakuum-Energie nicht die Expansion des Universums. Wenn die
Supernova-Beobachtungen bestätigt werden, heißt das, daß das
Universum sich ewig ausdehnt, und zwar mit immer steigender Geschwindigkeit. So
wäre die Inflation ein Naturgesetz.
"PRESSE": Welche Fragen der Physik würden Sie am liebsten beantwortet sehen?
Hawking: Ob Information in Schwarzen Löchern verloren geht. Vor einiger Zeit habe ich entdeckt, daß Schwarze Löcher nicht völlig schwarz sind. Vielmehr verlieren sie langsam Teilchen und Strahlung, verdampfen und verschwinden [Anmerkung der Red.: Hawking zeigte dies im Jahr 1973 durch die Kombination von Relativitätstheorie, Quantentheorie und Thermodynamik; auch bekannt als "Hawking-Strahlung"]. Die Frage ist: Sind die Teilchen, die aus dem Schwarzen Loch kommen, durch das determiniert, was in das Loch hineingefallen ist, oder herrscht hier der Zufall? Das hat wichtige Konsequenzen. Wenn die Teilchen zufällig sind, heißt das, daß wir die Zukunft nicht voraussagen können.
"PRESSE": Glauben Sie, daß der große intellektuelle und finanzielle Aufwand der Teilchenphysik und Astronomie zu praktischen Anwendungen führen wird? Oder dient diese Forschung nur der Neugier?
Hawking: Die meisten grundlegenden wissenschaftlichen Entdeckungen entstanden mehr aus der Sehnsucht, das Universum zu verstehen, als aus der Hoffnung auf praktische Anwendung. Aber sie haben unser Leben revolutioniert. Die Entdeckung einer allumfassenden Theorie wird vielleicht nicht das Alltagsleben in den nächsten 100 Jahren beeinflussen, aber sie ist wesentlich für unser Ziel: Herrscher des Universums zu werden!
In diesem Sinne .... Ad Astra!