Merlin, der Zauberer

 

SOFI 1999
LIVE VOR ORT

 

Als wir vor einigen Monaten unseren Ausflug zur Sonnenfinsternis im Wiener Planetarium buchten, ahnten wir noch nicht, welch gewaltiges Interesse dieses Ereignis als auch die geplante Exkursion dorthin auslösen würde. Zu dieser Zeit wußten wohl nur einige Eingeweihte und besonders Interessierte von diesem bevorstehenden Naturschauspiel. Aber je näher jener 11. August 1999 rückte, um so größer wurde die Aufmerksamkeit, sowohl der potentiellen Zuschauer als auch der Geschäftsleute, die versuchten, die Sonnenfinsternis bestmöglich auszuschlachten und für ihre Zwecke zu verwerten – Brillen, Kapperl, Volksfeste, Feuerwerke, Rundflüge, Sonnenfinsternis-Schnaps und vieles mehr wurde da ins Rennen geworfen und degradierten das einmalige Ereignis teilweise zu einer Massenvolksbelustigung. Da wußte man es erst richtig zu schätzen, die Verdunklung der Sonne in aller Ruhe von einer abgelegenen Wiese aus beobachten zu können, und noch dazu bei freier und ungetrübter Sicht.

In weiten Teilen Deutschlands und teilweise auch in Österreich war es ja nicht selbstverständlich, die Sonnenfinsternis bzw. überhaupt die Sonne sehen zu können. Das regnerische und wolkige Wetter machte vielen einen Strich durch die Rechnung. Beim Tagesausflug, der vom Wiener Planetarium gemeinsam mit der Firma Zeiss veranstaltet wurde, hatte man sich zugegebenermaßen aber die besten Chancen gewahrt – seit den frühen Morgenstunden war ein Wetterexperte auf dem Motorrad unterwegs, um den voraussichtlich günstigsten Beobachtungsplatz auszukundschaften.

SOFI 99
Die Teilnehmerkarte zum Ereignis des Jahres

Insgesamt acht Busse mir etwa 400 Gästen verließen gegen sieben Uhr den Sammelplatz beim Planetarium, begleitet von einer kleinen Polizeieskorte, die die Buskarawane zügig durch den bereits aufkommenden Verkehr aus der Stadt lotste. Noch standen zwei Orte zur Auswahl – Bad Tatzmannsdorf im Burgenland oder Payerbach in Niederösterreich. Obwohl – zu diesem Zeitpunkt erschien es relativ egal, wo man sich bei Regen und dichter Wolkendecke aufhalten würde. Trotzdem gab es bei der Raststation Strengberge eine kleine Lagebesprechung mit dem Wetter-Kundschafter, und es wurde als endgültiges Ziel Bad Tatzmannsdorf festgelegt, das wir dann nach kurzer Fahrt und bereits etwas besserem Wetter erreichten.

Dann riß der Himmel immer mehr auf, und die Sonne zeigte sich in vollster Pracht. Der zweite Hauptakteur ließ jedoch noch auf sich warten und man hatte Zeit, sich in aller Ruhe auf der eigens reservierten Wiese etwas abseits des Ortes ein gemütliches Plätzchen zu suchen und seine Foto- und Fernrohrstative aufzubauen.

Der dritte Star dieses Tages war zweifellos Professor Hermann Mucke, der Leiter des Wiener Planetariums und der Urania Sternwarte, ein Astronom mit Leib und Seele, der die Gabe hat, die Leute von seiner Wissenschaft zu begeistern und in den Medien liebevoll "Mr. Sonnenfinsternis" genannt wurde. Der österreichische Parade-Astronom, der zwar bereits 11.000 Sonnenfinsternisse berechnet, aber noch keine einzige davon gesehen hatte, war an diesem Tag wohl ebenso voll freudiger und nervöser Erwartung wie das Publikum, das sich natürlich insbesondere um den Standplatz des Professors geschart hatte.

Und dann Punkt 11:23 Uhr begann die Bedeckung. Zuerst nur zu erahnen, schob sich der Mond unerbittlich immer weiter über die Sonnenscheibe. Überflüssig zu erwähnen, daß sich unser Beobachtungspunkt natürlich genau auf der Zentrallinie befand, wo eine totale Verdunkelung stattfinden würde. Die Zeit verging wie im Fluge, und nach einer Stunde und zweiundzwanzig Minuten, als die komplette Verfinsterung kurz bevorstand, begann die Wolkendecke, die sich kontinuierlich immer mehr zugezogen hatte, ganz zu schließen. Die Enttäuschung war groß, als man den letzten Zipfel der Sonne nicht hinter dem Mond, sondern hinter den Wolken verschwinden sah. Ganz plötzlich wurde es finster, nicht allmählich, sondern von einer Sekunde auf die andere. Man wußte nicht, ob der kalte Schauer, den man am Rücken spürte, vom kühlen Wind, der aufgekommen war, ausgelöst wurde oder von der Ergriffenheit und dem Ereignis, über das man zuvor schon unzählige Fotos und Fernsehberichte gesehen hatte, aber erst jetzt bewußt miterlebte. Es verstrichen bange Augenblicke, bis sich inmitten der Wolkendecke ein Loch bildete und gleich einer kitschigen Inszenierung die Sonnenfinsternis in aller Schönheit und Pracht offenbarte. Die Korona war glasklar zu sehen, ebenso die rundherum verstreuten Sterne. Spontanes Klatschen, dann wieder andächtige Ruhe. Und dann war er doch noch zu sehen, der Diamantringeffekt. Ein gleißend heller Punkt, der zu explodieren schien und schließlich wieder den Blick auf eine strichfeine Mondsichel freigab.

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Der Himmel über Bad Tatzmannsdorf -
Nikon EM, Tele 210mm, Belichtungsautomatik, ohne Filter

Viel zu kurz die zwei Minuten, als daß man sich unmittelbar klar wird, was man da eigentlich sieht, trotz zahlloser vorangegangener Berichte in Zeitungen und im Fernsehen ist man nicht wirklich vorbereitet. Selbst hunderte Fotos oder Filme können nicht das vermitteln, was man live sieht. Viel zu kurz die Zeit, um sich wirklich alles einzuprägen und zu verarbeiten.
"Zugabe!" schrie einer der Zuschauer, und einer solchen hätte es wirklich bedurft, um einem danach das krampfhafte Gefühl des Sich-Erinnerns und nochmals ins Gedächtnis-Zurückrufens ersparen zu können. Doch man weiß um die Einmaligkeit dieses Ereignisses, und das macht es noch schlimmer. Was habe ich gesehen? Was habe ich gefühlt? Man muß alles festhalten, denn eine Wiederholung ist für die meisten äußerst unwahrscheinlich, auch wenn es fast jedes Jahr irgendwo (die Betonung liegt auf "irgendwo") auf der Welt eine Finsternis zu beobachten gäbe. Man muß sich erst bewußt machen, daß man das Ereignis wirklich gesehen, wirklich erlebt hat, denn es war viel zu schnell vorbei. Man hätte gewünscht, einfach die Zeit anhalten zu können oder zu verlangsamen, um in aller Ruhe das Schauspiel betrachten zu können und auf sich einwirken zu lassen. Zwei Minuten, um ein kosmisches Ereignis mit allen Sinnen zu fassen, zu begreifen - das ist zuwenig!

Nachdem der Mond begonnen hatte, die Sonne wieder freizugeben, erlosch schlagartig das Interesse an der Sache. Die Leute begannen, ihre Fernrohre abzubauen und die Liegedecken einzupacken und strömten langsam, aber sicher in Richtung der Busse, jedoch nicht, ohne hin und wieder kurz stehenzubleiben, die Schutzbrille aufzusetzen und ein paar Blicke auf die Sonne und den aktuellen Stand der Bedeckung zu werfen. Allein ein Reporter mit einem Handy am Ohr stand noch einsam unter einem Baum auf der Wiese und gab seinen Artikel über das Ereignis des Jahres brandaktuell an seine Redaktion durch.

Dann ging die Fahrt weiter nach Payerbach, wo auf uns nicht nur ein spätes Mittagessen wartete, sondern auch eine "Nachbereitung" des soeben Erlebten durch Professor Mucke. Der Vortrag fand in einem großen Saal statt. Die Multimedia-Show mußte leider entfallen, da die Freiwillige Feuerwehr, die den Saal durch Abdecken der Fenster hätte verdunkeln sollen, im Einsatz war. Aber auch so - oder gerade deswegen - wurde es ein launiges und informatives Referat, in dem Professor Mucke nicht nur eine kurze Einführung in die verschiedenen Berechnungsmethoden gab, sondern etwa auch erzählte, daß es im Jahr 1935 gleich fünf Sonnenverdunklungen gab. Und wenn ihn zu vorgerückter Stunde nicht seine Frau, die sich auch als studierte Atomphysikerin nicht zu schade war, mittags den Kellnerinnen beim Abservieren der Teller zu helfen, nicht auf die Uhrzeit aufmerksam gemacht hätte, so hätte er wohl noch einige Stunden weitergeplaudert, und die Zuhörer wären noch einige Stunden interessiert und amüsiert sitzengeblieben.

Als wir am Abend wieder im Wien eintrafen und die aufgeregte, erwartungsvolle Stimmung vom frühen Morgen jetzt einer ruhigen und beinahe andächtigen gewichen war, waren sich wohl alle einig, daß man so ein Schauspiel gerne noch einmal erleben würde. Die Chancen dafür stehen allerdings nicht allzu gut. In den heimischen Breiten werden wohl die wenigsten der jetzigen Beobachter ein zweites Mal in den Genuß eines solchen Beobachtung kommen, da die nächste totale Sonnenfinsternis in Europa erst im Jahr 2081 stattfinden wird. Zwar ist fast jedes Jahr irgendwo auf der Erde eine Verdunkelung der Sonne zu sehen, allerdings oft nur vom Meer oder unwegsamen Regionen aus.

Aber warum sollte man auch etwas so einmaliges wiederholen?