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Andreas Gruber, geboren 1968 in Wien, studierte an der WU-Wien
und arbeitet seither als Finanzcontroller in einem Mittelbetrieb. Seit 1996
schreibt er Horror- und Science Fiction Kurzgeschichten. Zahlreiche seiner
Arbeiten sind in Magazinen und Buchanthologien veröffentlicht, beim
Marburg Award 98 erreichte er den 3. Platz, beim Marburg Award 99 den 2. Platz
und 1999 war er Preisträger beim Literaturwettbewerb des NÖ
Donaufestivals. Zuletzt konnten sich zwei seiner Kurzgeschichten beim Kurd
Laßwitz Preis 2000 plazieren. Sein aktuelles Buch: "Der fünfte Erzengel" (Edition Medusenblut; Sammlung von neun Horrorgeschichten) |
Ramada Inn, im Schatten dreier Pinien
Ich sah sie
schon vor dem Motel warten, als ich den Bus von der Abbiegespur auf das
Gelände des Parkplatzes lenkte. Auf dem aufgerissenen Asphalt, zwischen
den weißen Linien, standen kaum Autos, und ich hatte Platz genug, um den
Bus quer über den Parkplatz in die Schatten dreier Pinien zu lenken. Ich
ließ den Motor laufen, stellte den Hebel der Automatik auf P und
schaltete die Aircondition eine Stufe höher. Mit einem Zischen klappten
die Falttüren auf, und eine Hitzewelle drang in das Innere des Busses. Ich
schob meine Sonnenbrille auf die Stirn und blinzelte über den Parkplatz in
Richtung Motel. Der Asphalt schien glühend heiß zu sein, und der
Teer sah aus, als habe er bereits zu schmelzen begonnen. Die Luft flimmerte,
dahinter war nur schwer der rote Ramada Inn Schriftzug zu erkennen.
Daneben, im Schatten des Motels, befand sich ein Taco Bell und eine
Taxaco-Tankstelle, mit Flachdach und eingezogenen Holzbalken, im
rotbraunen Pueblo-Lehmstil New Mexicos. Vor dem Eingang des Motels stand eine
Menschentraube, die sich nur langsam löste und auf den Bus zuging.
"Bewegt euch, Leute!" murrte ich. "In zwei
Stunden ist Feierabend."
Die trockene Luft kratzte in meiner Kehle und ließ
mich nach der Dose Pepsi greifen, die im Kunststoffbehälter unter dem
Armaturenbrett steckte. Die Kohlensäure hatte sich längst
verflüchtigt, doch immerhin war das Getränk kühl, auch wenn es
nach Schuhsohle schmeckte. Ich nahm einen Schluck, wischte mir
anschließend mit dem Sacktuch über Stirn und Nacken, dann fiel mein
Blick auf das Schild, das irgendein Idiot am Fenster neben der Fahrertür
angebracht hatte: No Smoking. Prohibited by Law. N.M. Ich schnippte mir
die Marlboro in den Mundwinkel, die schon ziemlich zerknickt aussah, weil sie
während der gesamten Fahrt hinter meinem Ohr gesteckt hatte. Ein
Streichholz fand ich in meiner Brusttasche, ich entzündete es am
Armaturenbrett. Eine dunkelblaue Rauchwolke waberte zur Decke, wurde vom
Luftzug der Aircondition erfaßt und durch den Bus gewirbelt. Aus dem
Radio klang K. Jones mit den Classic Rock that rocks, eine der wenigen
Radiostationen, die man in New Mexico hören konnte, ohne sogleich einen
BigMac über das Lenkrad würgen zu müssen. Bruce Springsteen
spielte Born in the USA, und ich trommelte mit den Fingern am Kunststoff
des Lenkrades. Die ersten Typen hatten den Bus erreicht und kletterten
über die Stufen in das Innere.
"Hi, Lou, oh Mann, hier ist es kalt."
"Hi, Neil", sagte ich.
Er klopfte mir auf die Schulter und ging nach hinten. Der
nächste Passagier kletterte auf Stelzbeinen über die Stufen,
klammerte sich mit zwei Armen an einer Verstrebung fest, glotzte mich stumm an
und klopfte mit dem dritten Arm auf das Schild neben der Fahrertür. Ich
blies ihm eine blaue Rauchwolke in die Lamellen.
"Mach, daß du weiterkommst!" knurrte ich.
"Wir wollen nicht ewig hier bleiben."
Er klappte seine Lamellen zu, sabberte eine blasse Lache auf
den Boden, zischte irgend etwas Unverständliches und kletterte auf
Stelzbeinen weiter. Dann sprang er an der Wand hoch und lief an den
Fensterscheiben entlang nach hinten. Die stinkende Schleimspur, die er am Glas
hinterließ, sah aus, als hätte jemand einen Burger King
Milchshake getrunken und anschließend über die Busscheiben gekotzt.
"Mieses Pack", knurrte ich und dämpfte die
zur Hälfte gerauchte Zigarette am Armaturenbrett aus. Seit achtzehn Jahren
fuhr ich diesen Bus, und es war jedesmal dasselbe.
Weiteres Gesindel kletterte in das Wageninnere, ließ
sich irgendwo auf den Sitzbänken nieder oder blieb einfach nur an der
Decke kleben. Dazwischen sah ich mal einen Zweibeiner mit freundlichem Gesicht
den Bus betreten.
"Hi, Lou."
"Hi, Bruno", sagte ich. "Wir war euer
Tag?"
"Mhm", brummte Bruno und zuckte mit den Achseln.
"Die waren die meiste Zeit im Swimming Pool, doch mußten wir
ständig darauf aufpassen, daß sie nicht zu viel von dem Wasser
saufen. Du kannst dich doch noch an letztes Jahr erinnern, oder?"
Ich nickte.
"Was soll´s, diesmal ging alles gut", brummte
Bruno und ging nach hinten, gefolgt von dem Getrippel der Stelzbeine, dem
Gestank des Schleims und dem Zischen der Lamellen.
"Glück gehabt", murmelte ich. Letztes Jahr
hatte einer zu viel Chlor durch die Lamellen gesaugt und war im Swimming Pool
zerplatzt. Bruno, Neil und ich hatten die Sauerei im Swimming Pool gereinigt.
Bruno hatte sich dabei die Hand verätzt. Der rote Fleck zwischen Daumen
und Zeigefinger war noch heute zu sehen, und wenn ihn jemand danach fragte,
sagte er stets, daß ihn seine Exfrau mit dem Bügeleisen verbrannt
hätte ... obwohl jeder wußte, daß Nadine gar nicht bügeln
konnte.
"Lou, kannst du die Musik leiser stellen?"
brüllte jemand von der letzten Sitzreihe.
"Nein!" knurrte ich. "Das ist Bruce
Springsteen!"
"Die Quaarteln sind den Lärm nicht
gewöhnt."
"Scheiß auf die Quaarteln", knurrte ich und
stellte das Radio leiser.
Der Bus füllte sich, es wurde immer heißer. Ich
trank den letzten Schluck Pepsi, zerdrückte die Aludose und warf sie auf
den Boden des Busses zu den anderen. Nach diesem Tag mußte der Wagen
sowieso von Benson Hodding gereinigt werden.
"Lou?"
"Waaas?" brüllte ich.
"Du mußt die Aircondition abschalten", rief
jemand nach vor.
"Die Quaarteln erfrieren sonst", flüsterte
Elliot, als er sich an mir vorbeizwängte und die Taco Bell
Tüte an seinen Bauch preßte. Er roch nach Chili, Teig und Zwiebeln.
Er war neu im Team, und ich hatte ihn noch nicht oft gesehen. Außerdem
stammte er nicht aus unserer Gegend, von Santa Fé oder Albuquerque,
sondern aus dem Norden, wahrscheinlich irgendwo aus Boston oder Chicago; fett
genug war er ja.
"Scheiß auf die Quaarteln", knurrte ich und
kippte einen Schalter am Armaturenbrett auf 0.
Ich blickte in den Rückspiegel, es waren alle im Bus.
Dann schloß ich die Türen, schob meine Sonnenbrille auf die Nase,
stellte den Hebel der Automatik auf D, kurbelte am Lenkrad herum und
fuhr den Bus vom Parkplatz, hinunter auf den Freeway 380 East. Es waren noch
zwei Stunden Fahrt über die Sacramento Mountains; noch zwei Stunden
brütende Hitze, ohne Musik, den Gestank der Quaarteln erduldend samt ihrem
Kauderwelsch, den keiner verstand, danach würden wir das NASA
Kontrollzentrum in Roswell erreicht haben ... wie ich diese
Betriebsausflüge haßte.
© September 1999 by Andreas Gruber