Quack, quack, quack!

 

28eme Festival
international de la
bande desinnée
d'ANGOULEME

[Wolfgang Zenker]

Angouleme - eine kleine Stadt in Westfrankreich. Ein bißchen verschlafen wirkt sie schon, mit ihrem mittelalterlichen Stadtkern und dem alten Rathaus oben auf dem Berg, durch den unten die Bahnlinie Paris-Bordeaux durchführt. Ein wenig Industrie, ein wenig Fremdenverkehr, der sich im wesentlichen auf einige Festivals im Jahr beschränkt, keine weltbewegenden Sehenswürdigkeiten, am Abend eher ausgestorben. Bei uns würde man sagen, um halb sieben werden die Gehsteige hochgeklappt.

Aber jedes Jahr am letzten Wochenende im Jänner verwandelt sich die Stadt in brodelndes Leben. Dann nämlich findet in Angouleme das "Festival international de la bande dessinee" statt, das größte Europäische Comic-Festival. Vorab ein paar Daten um die Dimensionen dieser Veranstaltung zu verdeutlichen: Angouleme hat ca. 50.000 Einwohner, zum Festival kommen in vier Tagen ungefähr 200.000 Besucher. Hotels sind an diesem Wochenende auf ein Jahr im Voraus ausgebucht und im Umkreis von ca. 30 km ist kaum ein Quartier zu bekommen.

John Difool {short description of image}{short description of image}Natascha
Eine Stadt im Comic-Fieber! Mit dabei: John Difool und Natascha

Auch heuer war es wieder einmal so weit: vom 25. - 28 Jänner wurde Angouleme zur Metropole der Comics. Das klingt vielleicht übertrieben, ist aber tatsächlich so. Denn das Festival findet nicht nur an den dafür vorgesehenen Örtlichkeiten statt, hier in Angouleme lebt die gesamte Stadt mit. Kaum eine Auslage eines Geschäftes, die nicht dekoriert ist. Von der Apotheke über den Supermarkt bis zur MacDonald`s Filiale machen alle mit. In der Galerie Lafayette (eine bekannte Französische Kaufhauskette) werden sogar Signiertermine von Zeichnern abgehalten. Die ganze Innenstadt ist mit Transparenten, Plakaten und Skulpturen dekoriert. Praktisch alle kulturellen Events sind auf dieses eine Thema ausgerichtet. Sogar Fassaden sind mit Comic-Motiven gestaltet. Hier steigt John Difool von Moebius von einer Hauswand herab, dort findet man Walthery´s Natascha, eine Feuermauer war sogar mit Fenstern bemalt, aus denen Lucky Luke und die anderen Figuren des Morris´schen Universums herabblickten. Für einen auswärtigen Besucher, der im Deutschsprachigen Raum als Comic-Liebhaber gewohnt ist zu einer "Randgruppe" zu zählen, ein wahrhaft überwältigender Eindruck - vor allem beim ersten Besuch. Hier werden einem zwei Dinge so richtig bewußt, nämlich einerseits welchen kulturellen Stellenwert Comics in diesem Land haben und andererseits welche Bedeutung das Festival für die Stadt haben muß.

Am Festival selbst gab es wie üblich ein vielfältiges Programm, meist fiel es schwer sich zwischen den vielen gleichzeitig angebotenen Veranstaltungen zu entscheiden. Was war denn nun wichtiger? Eine Ausstellungseröffnung mit einem bekannten Zeichner, eine Pressekonferenz, oder gar die Premiere eines neuen Animationsfilm? Besonders Glückliche hatten sogar Karten für die Preisverleihung ergattert. Oder sollte man ganz einfach nur die vielen Neuerscheinungen begutachten und hoffen, daß doch das eine oder andere auch auf Deutsch erscheinen wird ...

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Links: Eines der großen Zelte am Place du Champ de Mars. Rechts: Moebius genießt seine Signierstunde

Die bereits "klassische" Verlagsmesse fand in den beiden riesigen Zelten auf dem Place du Champ de Mars statt. Hier traf man auf so bekannte Namen wie Dargaud, Glenat, Casterman oder Les Humanoides Associès aber auch auf viele Kleinverlage, die sich hier mit ihrem Programm und insgesamt mehr als 700 Zeichnern und Szenaristen präsentierten. Auf jeden Fall war reichlich Gelegenheit sich in die Schlacht um Widmungszeichnungen zu stürzen und eine der vielen Warteschlangen zu bevölkern. Immerhin waren unter den etwa zweihundert Zeichnern so bekannte Namen wie Jean Giraud/MOEBIUS, Jean-Claud Mezieres und Pierre Christin, Philippe Druillet, Pierre Seron, Eddy Paape, Francois Walthery und Dany um nur einige zu nennen. Bei vielen mußte man sich auf längeres Warten gefaßt machen, was mit der Beliebtheit des Betroffenen einerseits und andererseits auch mit dessen Zeichengeschwindigkeit zusammenhing. Extrem war es am Stand von SOLEIL bei den Signierterminen von Didier Tarquin ("Lanfeust von Troy"). Dieser vereinte die für den wartenden Fan wohl ungünstigste Kombination an Eigenschaften - große Beliebtheit und aufwendige Zeichnungen - in sich. Hier mußte man sich auf mehrstündige Wartezeiten einstellen, die auch den ganzen Tag dauern konnten. Einige Hartgesottene hatten fast schon Notbiwaks aufgeschlagen und stellten sich schon am Morgen für die Signierstunde am Nachmittag an. Okay, Anstrengungen sind dazu da, um auf sich genommen zu werden. Schließlich war man ja nicht zum Vergnügen hier ...

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Francois Walthery (links oben), Jean-Claud Mezieres (rechts oben),
Eddy Paape (links unten) und Pierre Seron (rechts unten)

Aber nicht nur Franko-Belgier gab es, auch Amerikanische Zeichner wie etwa John McCrea (Hitman, Hulk) waren anwesend. Hier war in den letzten Jahren eine deutliche Öffnung in Richtung tatsächlicher Internationalität zu bemerken. Waren bei meinem ersten Besuch im Jahr 1995 praktisch ausschließlich Französische und Belgische Comicproduktionen vertreten und allenfalls einige Europäische Lizenzprodukte bekannter Stars wie etwa Manara, so präsentierte sich heute ein Verlag wie Marvel France bereits mit einem recht ansehnlichen Stand.

Auch Merchandisingsammler und Liebhaber alter Comics kamen nicht zu kurz. Auf dem Place de New York zwischen dem Rathaus und dem Theater war ein langes Händlerzelt aufgebaut, das Espace New York. Ob man Figuren suchte, in Kisten mit antiquarischen Alben wühlen wollte oder hinter Originalen her war, hier wurde man in fast allen Fällen fündig. Von Postkarten und Schlüsselanhängern über signierte Drucke bis hin zu hochpreisigen Originalseiten, man fand alles, was das Herz des Comicfans begehrte. Sogar Originalseiten absoluter Spitzenzeichner, wie etwa eine Gaston-Seite von Franquin, wechselten den Besitzer. Auch Starzeichner Moebius hatte hier mit seinem Verlag STARDOM einen Stand. Dieser war für Eingeweihte übrigens ein Geheimtip. Im Gegensatz zum Stand von Humanoide Associes, wo nur eine einzige Signier-Session stattfand, war der Meister hier jeden Tag, manchmal sogar mehrmals, anwesend. Erkundigte man sich nach den Terminen, so bot sich meist Gelegenheit ohne große Warterei zu einer Widmungszeichnung zu kommen. Die Termine waren nämlich nicht angeschrieben, sodaß sich meist nur eine kurze Schlange bildete.

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Auch in Originalen und Merchandising-Artikeln konnte man nach Herzenslust wühlen

Einen wesentlichen Teil des Festivals bildeten natürlich auch die rund ein Dutzend verschiedenen Ausstellungen zu allen Bereichen Rund um das Thema Comics. War im Millenniumsjahr die große Ausstellung in wirklich eindrucksvoller Weise dem Ausnahmekünstler Moebius gewidmet, so befaßte sich im heurigen Jahr die zentrale Ausstellung im Comicmuseum mit den Meistern der Europäischen Comics. Die Ausstellung war chronologisch geordnet und umfaßte laut Katalog mehr als 300 Exponate von über 70 Zeichnern aus 30 Ländern. Es begann mit Originalskizzen und Illustrationen von Wilhelm Busch und Caran D'Ache aus der Frühzeit der Comics. Unnötig zu erwähnen, daß es sich dabei um äußerst seltene Raritäten handelte, die man in dieser geballten Form nicht so bald wieder geboten bekommen wird. Was folgte war ein Streifzug durch die Comic-Geschichte. Als Sammler lief einem förmlich das Wasser im Mund zusammen. Original auf Original waren Größen wie Hergé, Jijé, Franquin, Moebius/Giraud, Forest, Druillet und viele andere vertreten, wobei das Spektrum der Ausstellung bis zu aktuellen Künstlern wie Cabanes oder Dave McKean reichte. Der deutschsprachige Raum war neben Wilhelm Busch unter anderem durch Ralf König vertreten. Zu dieser Ausstellung wurde auch ein äußerst umfangreicher Katalog angeboten, der jedem näher Interessierten uneingeschränkt empfohlen werden kann, schon alleine wegen der wunderbaren farbigen(!) Abbildungen aller(!) Ausstellungsstücke. Da die Ausstellung auch in Deutschland gezeigt werden soll, gab es sogar eine deutschsprachige Ausgabe.

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Links das Comic-Museum, rechts Druillet beim Signieren

Eine der Ausstellungen war wie üblich auch der amtierenden Festivalpräsidentin Florence Cestac gewidmet. Neben Originalen waren auch aufwendige Hommage-Zeichnungen anderer Künstler an die Zeichnerin und dreidimensional gestaltete Kollagen mit Figuren im Stil der Preisträgerin zu sehen, die ihren Humor recht gut wiedergaben. Es war dies wohl die am liebenswertesten und auch liebevollsten gestaltete Ausstellung des Festivals. Da einer der Schwerpunkte des diesjährigen Festivals Mangas waren, wurden auch Ausstellungen zu den Themen Manga-Kurzgeschichten und Shojo Manga (japanische Mädchen-Comics) gezeigt. Bedauerlicherweise gab es aber keine Originale sondern nur großformatige Kopien der Seiten zu sehen. Eigentlich enttäuschend.
Von den Ausstellungen erwähnenswert war ansonsten noch jene zum 30jährigen Bestehen des Magazins L´Echo des Savanes sowie aus Anlaß der 201. Ausgabe der Zeitschrift. Gezeigt wurde ein weitgespannter Bogen von Arbeiten, alle von Zeichnern, deren Namen eng mit der Geschichte des Magazins verbunden waren.

Ein besonderes Service im Rahmen des Festivals soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Bedingt durch den Umstand, daß die verschiedenen Ausstellungen und Veranstaltungen über die ganze Stadt verteilt stattfanden, ergaben sich zum Teil Entfernungen von mehreren Kilometern. Für die Besucher war daher ein kostenloser Bus eingerichtet worden, der regelmäßig die einzelnen Orte des Geschehens anfuhr.
Zu empfehlen war aber trotzdem, die Stadt auch einmal zu Fuß zu "erwandern", schon wegen der vielen liebevollst gestalteten kleinen Attraktionen. Die zu Beginn erwähnten bemalten Hausfassaden bildeten hier nur einen Teil der ungeheuren Vielfalt.

Was gab es sonst noch? Eine große Zahl an Podiumsdiskussionen und Presseterminen, die aber für mich als nicht Französisch Sprechenden naturgemäß das Problem der Sprachbarriere aufwarfen (jedes Jahr nach Angouleme nehme ich mir aufs Neue vor, endlich mit einem Französischkurs zu beginnen .....).
Am Beginn des dritten Jahrtausends durften natürlich auch die neuen Medien nicht fehlen. Unterstützt von der Französischen Telekom konnte man sich in einem eigens dafür eingerichteten Zelt, dem Espace Cyberbédé, dem WorldWideWeb ausgiebig hingeben. Vor allem von Kindern und Jugendlichen stark frequentiert wurden hier die Möglichkeiten einer Verknüpfung des elektronischen Bildes mit dem herkömmlichen Comics vorgeführt.

Auch für Abendgestaltung war nicht zu knapp gesorgt. Es gab Filmvorführungen, Partys und Empfänge und am Freitag abend sogar ein Konzert einer Comic-Band. Dieser gehören immerhin so bekannte Zeichner wie Frank Magerin und Jean-Claude Dennis an.
Ein beliebter nächtlicher Treffpunkt war die Bar Le chat noir. Fast unmittelbar im Stadtzentrum gelegen bot sie die ideale Anlaufstelle für alle Nachtschwärmer unter den Fans. Wann immer man des Abends hierher kam, man konnte sicher sein, bekannte Gesichter zu treffen. Daß die Abende meist relativ "früh" endeten, muß wohl nicht näher erwähnt werden. Das hatte zwar gewisse Ausfallserscheinungen am nächsten Tag zur Folge, aber was tut man nicht alles für sein Hobby ...

Die schwarze Katze
Le Chat Noir

Wie jedes Jahr war auch heuer am Samstag um halb zehn am Abend der große Moment gekommen: vom Balkon des Rathauses wurde der Gewinner des Grand Prix de la Ville Angouleme verkündet. Der Preis ging an den 1950 geborenen Martin Veyron, der damit auch zum Präsidenten des Festivals 2002 bestimmt wurde.
Was die übrige Preisverleihung betrifft, so sei auf die anschließende Liste der Preisträger verwiesen. Die meisten der ausgezeichneten Künstler sind in unseren Landen wohl nur absoluten Spezialisten bekannt. Hoffen wir aber, daß das eine oder andere doch auf Deutsch veröffentlicht wird.

Auch die wirtschaftliche Bedeutung des Festivals für die Stadt darf man nicht unterschätzen. Dies gilt umso mehr, als die Gegend um Angouleme, die Region "Charente", zu den diesbezüglich eher problematischen in Frankreich zählt. Ein Lokalbesitzer erzählte mir beispielsweise, daß er in den vier Tagen des Festivals soviel Umsatz mache, wie sonst in einem ganzen Monat. Man darf daher nicht vergessen, daß das Festival für die Stadt von lebenswichtiger Bedeutung ist. Für viele Menschen hier bedeuten Comics in diesen Tagen nämlich nicht Spaß und Freizeitbeschäftigung sondern einen bitter notwendigen Broterwerb. Auch daran, glaube ich, sollte man manchmal denken, wenn man voll Begeisterung durch die Stadt geht.

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Pierre Christin und Dany

Zieht man eine Bilanz des Festivals, so fällt einem - bezogen auf die Dimensionen - nur der Begriff "überwältigend" ein.
Man mag die Ansicht vertreten, daß immer größer noch lange nicht immer besser bedeuten muß, daß das Festival schon zu sehr kommerzialisiert ist. Man mag der Meinung sein, daß die Ideen für Ausstellungen und Rahmenprogramm dünner werden und sich zum Teil selbst kopieren. Eines jedoch sei unbestritten:

Nirgends in Europa wird dem Comic-Liebhaber so vieles und so umfassendes geboten wie hier in Angouleme.

 

Die Preisträger 2001:

Großer Preis der Stadt Angouleme:
Martin Veyron (Bernard Lermite, L´amour propre, Caca Rente)

Die Alph-Art-Preisträger 2001:

Bestes Album des Jahres:
Lack Palmer: L´Enquete corse (T.12) von Petillon (Editions Albin Michel)

Bestes ausländisches Album:
Le canard qui aimait les poules von Carlos Nine (Editions Albin Michel)

Bestes Szenario für ein Album:
Les quatre fleuves von Fred Vargas und Baudoin (Viviane Hamy Editions)

Coup de Coeur:
Persepolis von Marjane Satrapi (L´association)

Humor:
Napoléon et Bonaparte von Rochette (Editions Casterman)

Jugend (7 bis 8 Jahre):
Un drole d´ange gardien ´Un zoo à New York´ von Revel und Filippi (Delcourt)

Jugend (9 bis 12 Jahre):
Les profs ´Interro surprise´ von Pica und Erroc (Bamboo Editions)

Publikumspreis:
Les Bidochons: Usent le forfait (T.17) von Binet (Fluide Glacial)

Fanzine:
Stripburger aus Slowenien

Besondere Erwähnung:
Le Collectioneur de la Bande Dessinée

Junge Talente:
Jack Fras aus Polen

 

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